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II   2017 06 11

Wie können viele Einzelne zu einer transnationalen politischen Kraft werden?


Eine Kampagne für Abrüstung, die Besteuerung der globalen Finanzoligarchie, für eine Stärkung von NGO's und UN starten!

Vermutlich vermögen meine Vorschläge zur Weltverbesserung nur wenige Leser auf Anhieb zu überzeugen. Bevor ich einige Motive und Argumente nachliefere, möchte ich kurz darauf eingehen, wie ich mir die Organisation der Kampagnen in groben Zügen vorstelle.

Gesetzt den Fall, dass sehr, sehr viele Menschen auf allen Kontinenten eine schrittweise, prozentuale Reduzierung der Rüstungshaushalte und eine Beschränkung der Finanzmacht privilegierter Gruppen für gut, vernünftig und möglich halten – wie können sie sich über Ländergrenzen hinweg darüber austauschen, verständigen und diesen Forderungen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern Nachdruck verleihen?

Es gab in den letzten Jahren große internationale Demonstrationen und Bewegungen, die gezeigt haben, dass die Internetkommunikation die Entstehung von Protestbewegungen begünstigen kann, indem sie die Chancen für Information, Kommunikation und Koordination der Menschen auch über staatliche Einschränkungen hinweg vergrößert. Es ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten, die die neuen Kommunikationstechnologien für außerparlamentarische demokratische Basispolitik bieten, beiweitem noch nicht ausgeschöpft sind.
Allerdings ist auch, z.B. durch das Schicksal des „Arabischen Frühlings“ und „Occupy“ deutlich geworden, dass vor allem transnationale Bewegungen mehr Organisation der Diskussionsprozesse benötigen, um zu gemeinsamen Zielen, konkreten Forderungen und Umsetzungsstrategien zu gelangen, die erst eine Entwicklung solcher Bewegungen zu einer starken und dauerhaften politischen Kraft möglich machen.

Die Organisationsfrage legt es meiner Meinung nach nahe, zu überlegen, welchen Beitrag hier die bekannten humanitären NGO's leisten könnten. Was hält diese davon ab, eine gemeinsame Kampagne für eine solidarische demokratische Weltpolitik zu starten, um zu demonstrieren, dass nur ein weltweites konsequentes Engagement der Individuen für gewaltfreie Konfliktregelungen, soziale Sicherheit und demokratische Beteiligungschancen für alle Menschen die Perspektive auf eine gerechte Weltgesellschaft offenhalten können? Eine solche Kampagne macht allerdings nur Sinn, wenn diese Ziele in konkrete („messbare“) Forderungen an die Regierungen übersetzt werden: zu fordern wäre eine sofortige Reduzierung der Rüstungshaushalte um 10 Prozent, eine wirkungsvolle Besteuerung der großen Finanzvermögen und eine ausreichenden Finzanzierung der UN.[1]

Es ist klar, dass die Ablehnung der „Betroffenen“ in den Steueroasen, Waffenschmieden und Militärverwaltungen kühl, schroff und kompromisslos sein wird. Aber die genannten Forderungen sind keineswegs so moralisch-utopisch, wie sie scheinen. Abrüstungsvorschläge wurden in der Geschichte des Völkerbundes und der UN immer wieder von den Experten diskutiert, aktuell gibt es von vielen Wirtschaftsexperten Forderungen zur Beschränkung des globalen Reichtums und zur Regulierung des Finanzsystems, Vorschläge zur Stärkung supranationaler Institution sind ein wichtiges Thema in den Sozialwissenschaften, ebenso Vorschläge zur Vertiefung und Demokratisierung der EU.

Natürlich ist es wichtig, dass überall auf der Welt auch Individuen und kleine lokale Gruppen, ihre Ideen in diese Kampagne einbringen können, damit ein Austausch zwischen Basiskommunikationen und den übergeordneten Organisationsebenen stattfinden kann. Hier gibt es aus dem Bereich der freien Softwareentwicklung nützliche Erfahrungen und Kooperationsmodelle, die für die Durchführung der Kampagne hilfreich sind können.
Auch wäre zu überlegen, wie der Einzelne sein Engagement für die Ziele und seine Zustimmung zu den Forderungen bekräftigen kann. Dazu könnte er z.B. die Möglichkeit bekommen, sich zu authentifizieren und einen kleinen, symbolischen Geldbetrag (5 $) zu bezahlen, mit dem die Kosten der Kampagne finanziert und die Beteiligungschancen für benachteiligte Menschen verbessert werden könnten.

Es gibt sicherlich viele Menschen, die profundere Erkenntnisse und Erfahrungen zur Organisation von Kampagnen mit Hilfe der neuen Kommunikationstechnologien einbringen können, als ich das an dieser Stelle tun kann. Das wird auch deshalb notwendig sein, weil vermutlich von vielen Seiten versucht werden wird, eine solche Kampagne zu diskreditieren und zu unterdrücken.
Allerdings benötigt auch eine perfekt und basisdemokratisch organisierte Internetkampagne die Ergänzung durch interpersonale Kommunikation in und zwischen lokalen Gruppen.

Auch sollte deutlich geworden sein, dass die Ziele einer solchen Bewegung begrenzt sind. Die Bewegung ist nicht in dem Sinne revolutionär, dass eine benachteiligte Klasse die weltgesellschaftliche Macht erobert.
Ihrem Selbstverständnis nach wäre sie eine Ergänzung von Demokratisierungsbestrebungen, die es auf allen Ebenen der Politik schon gibt. Sie will Gestaltungsräume für absolut notwendige weltwirtschaftliche Veränderungen erweitern und sollte dazu die Akteure aus diesen Bereichen einbeziehen. Sie bedarf deren Mitarbeit, deren Kenntnisse und Erfahrungen, um zu erkunden, mit welchen Maßnahmen die Weltwirtschaft sich in Richtung einer ausreichenden Lebensmittelproduktion, nicht entfremdeten Arbeitsverhältnissen für alle und ökologischer Nachhaltigkeit verändern lässt.


Solidarfond für ein demokratisches und solidarisches Europa unterstützen!

Den Europäern kommt in der gegenwärtigen Weltlage eine besondere Verantwortung zu. Europa ist der Kontinent mit dem demokratisch am weitesten entwickelten politischen System und einem der größten Wirtschaftsräume. Wenn die Europäer in der aktuellen Krise ihres politischen Systems es nicht schaffen, ihr Zusammenleben demokratischer und solidarischer zu gestalten, wird das nicht nur verhängnisvolle Auswirkungen auf ihre Lebensbedingungen haben. Weltweit würden damit die Hoffnungen enttäuscht, die Krisen der Menschheit ließen sich durch eine bessere, demokratischere und solidarische Zusammenarbeit der politischen Gemeinwesen lösen.

So vermessen es klingt: Europa muss der Welt zeigen, dass starke demokratische supranationale Institutionen und eine solidarische Nutzung ökonomischer Ressourcen zwischen politischen Gemeinschaften möglich ist. Dazu reicht es nicht, sich als Verteidiger einer „offenen Gesellschaft“ und universeller Menschenrechten zu gebärden. Es ist auch fragwürdig, lediglich eine Umverteilung ökonomischer Mittel von oben, den Reichen, nach unten zu den Armen zu fordern. Ein solches Programm enthält nämlich auch die trügerische Botschaft, alles würde gut, wenn alle so leben, wie es jetzt die meisten (in Europa), die in der „Mitte“, schon tun.
So wichtig es ist, die Pleonexia, das „Immer-Mehr-Haben-Wollen“, das sich als unendlicher Akkumulationsdrang in den Finanzsystemen, der kapitalistischen Produktionsweise, den militärisch-industriellen Komplexen verselbständigt hat, zu zähmen, so entscheidend ist es, die Pleonexia auch in der modernen Lebensweise zu überwinden, die sich dort als ein Besitzindividualismus zeigt, der die Abwertung und Ausgrenzung anderer, ihre Herabsetzung zu „unqualifizierten“ und überflüssigen Arbeitskräften oder gar gänzlich überflüssigen Menschen in Kauf nimmt.
Dazu bedarf es gerade auch von den Mittelschichten die Bereitschaft, die eigene Lebensweise zu verändern, den Mut, einen qualitativen Wohlstand zu leben und die Anstrengung, die Wirtschaft Europas so umzubauen, dass alle Menschen, auch die Zuwanderer, daran mitarbeiten und ihre Fähigkeiten entwickeln können, ohne dass dabei die Umwelt übernutzt wird.

Das ist kein bescheidenes Programm, aber darunter geht es nicht. Gegenwärtig kommt es darauf an, dass die vorhandenen Initiativen für eine demokratische und solidarische Integration Europas unterstützt werden und es zu einer wirksamen Koordination kommt, die in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Den Stillstand in Europa verursachen nicht nur träge Bürokratien, egoistische Oligarchen und Ewiggestrige, die sich in nationalistisch-feudale Gemeinschaften mit einem starken Führer zurücksehnen.
Verantwortlich scheint mir auch die weitverbreitete Haltung zu sein, die europäischen Probleme ließen sich lösen, vor allem der Umbau der Wirtschaft sei möglich, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Stattdessen gefällt sich die Politik für die Wähler und auch ein großer Teil der Politik „von unten“ darin, immer neue Übeltäter ausfindig zu machen und an den Pranger zu stellen.

Die demokratische Integration Europas, wie sie von sozialliberalen Republikanern und libertären Sozialisten diskutiert wird, braucht eine wirtschaftspolitische Perspektive der Investitionen und Umverteilungen. Diese müssen aber auch für einen wirklichen sozio-ökologischen Umbau der Gesellschaft eingesetzt werden. Es geht darum, die Bedingungen für einen allgemeinen qualitativen Wohlstand zu schaffen:
Warum nicht überall in Europa, besonders in den „strukturschwachen“ Regionen in Zusammenarbeit mit den bestehenden lokalen Initiativen, Pilotprojekte dafür schaffen: Modelle für gemeinschaftliches, nachhaltiges Wohnen für Alt und Jung, Zuwanderer und Eingeborene, für ein Zusammenwohnen, das Arbeit und Leben verbindet; ein Wohnen in der Stadt, das über Kooperationen mit ökologischer Landwirtschaft verknüpft ist, das Verkehrssysteme ohne private PKW's ermöglicht.
Neue Kommunikationstechnologien und interkulturelle Begegnungen können Entfremdung und Abstoßung bewirken, können aber auch als Anstöße für individuelle Entfaltung, Lernen, Veränderungen und gesellschaftliche Innovationen fungieren, wenn die materiellen und organisatorischen Voraussetzungen ihrer Aneignung durch die Individuen vorhanden sind.
Ein gesellschaftlicher Umbau der kapitalistischen Industriegesellschaften ist kein bloßer Prozess der Umverteilung oder Schrumpfung. Er bedarf des Einsatzes von viel Arbeit und umfangreicher sachlicher Mittel. Und die Zeit rennt uns davon. Ungenutzte Zeit, in der diese Mittel verschleudert und die Angst der Menschen vor zerstörerischen Gewaltausbrüchen wächst.

In der aktuellen Krise Europas verschränken sich also eskalierende Bedrohungen mit historisch einzigartigen Chancen für die Realisierung einer Gesellschaft, in der nicht die Akkumulation der Mittel, sondern die Entfaltung der Individuen in der Vielfalt ihrer Beziehungen im Mittelpunkt steht.

Der Vorschlag, neue Arbeits- und Lebensformen in europäischen Pilotprojekten auszusprobieren mag vielen schwärmerisch und völlig unrealistisch erscheinen. Aber sind Konzepte, nach denen in naher Zukunft möglichst noch mehr private Autobesitzer in vollautomatisierten und PS-starken Elektroautos hermumfahren werden, realistischer – und vor allem sinnvoller? Haben möglicherweise die Trumps und die gewalttätigen Heilsbringer deshalb so viel Zulauf, weil das westliche Lebensmodell außer vollautomatisierten, digital vernetzten und elektrifizierten Monaden keine Zukunftsperspektive mehr entwickeln kann?

Also, haben wir Mut. Noch gibt es ein halbwegs friedliches, wohlhabendes, demokratisches und politisch gemeinsam handelndes Europa, das Werten verpflichtet ist, die weltoffen entwicklungsfähig sind!
Die Idee europäischer Pilotprojekte zur gesellschaftlichen Umsetzung anderer Lebens- und Arbeitsformen ist auch keine bloßes Produkt meiner Phantasie. Angeregt wurde sie durch Projekte vieler anderer Menschen, zum Beispiel durch Ulrike Guerots und Robert Menasses Text „Lust auf eine gemeinsame Welt“, sowie die praktisch schon weiter gediehenen Konzepte des Vereins neustartschweiz.ch.

Seit dem Erfolg der „europafreundlichen“ Wahlversprechen des neuen französischen Präsidenten sind plötzlich viele Schlagwörter in der Öffentlichkeit zu hören und zu lesen, die europäische Gemeinsamkeiten beschwören. Solche Sprachhülsen müssen die Bürger Europas jetzt mit Inhalt, mit einem sozial-ökologischen Projekt füllen. Wenn sie es nicht tun, werden lediglich die neoliberalistischen Technokraten wieder einmal neue „Reformen“ lancieren und die Sicherheitsexperten „Sicherheitslücken“ mit noch mehr Militär, Polizei und Überwachungseinrichtungen füllen.

Aktuell ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen zeigen, dass es ihnen wirklich ernst ist mit ihrem Engagement für ökologische, liberale und solidarische Werte. Sie können das tun, indem sie einen Solidarfond für einen solchen Umbau in Europa gründen und unterstützen. Indem sie sich an einem solchen Fond mit einem Teil ihres Einkommens beteiligen, stellen sie auch unter Beweis, dass sie bereit sind, neue, weniger ressourcenverbrauchende Lebensformen zu entwickeln.

Die Europäische Union hat derzeit ein mageres Budget von etwas mehr als einem Prozent des Bruttonationalproduktes, ungefähr 150 Mrd. Euro. Wenn jeder Haushalt in Europa mit einem Einkommen oberhalb der Armutsgefährdungsgrenze ein Prozent seines Einkommens in einen europäischen Fond für innovative soziale Projekte einzahlt, kämen jährlich rund 70 Milliarden zusammen. Durch Umschichtungen der Staatshaushalte und eine Abschöpfung der Spitzeneinkommen und Vermögen ließe sich dieser Betrag verdreifachen. Dadurch würde das gesamte Budget der EU mehr als verdoppelt.
Mit 150 Milliarden Euro wäre eine finanzielle Basis geschaffen, mit der sich in Europa eine Menge „Innovationen“ in Richtung einer freieren, solidarischeren und nachhaltigeren Gesellschaft installieren ließen.

Vermutlich gibt es sachkundigere, wissenschaftlichere Vorschläge zu wirtschaftspolitischen Umverteilungen und zur Finanzierung von Innovationen. Wenn das der Fall ist und diese Vorschläge gerechter und wirkungsvoller sind – umso besser!
Mit meinem Vorschlag wollte ich zeigen, dass die Einzelnen keineswegs so ohnmächtig in Bezug auf die „große Politik“ sind, wie viele es meinen oder glauben machen wollen. Mit 10, mit durschnittlich 25 Euro monatlich, können viele Einzelne in Europa eine Dynamik entfachen, die Ernst macht mit den großen Werten von Freiheit, Solidarität und Nachhaltigkeit.

Natürlich muss über zahlreiche Details diskutiert werden. Und natürlich müssen sich die Menschen entscheiden, ob sie überhaupt eine grundlegende Veränderung ihrer Lebensweise wollen. Aber angesichts der großen existenziellen Probleme der Menschheit sollten sie endlich eine politische Debatte darüber führen, und sich als Demokraten nicht immer hinter einer vorgeblich übermächtigen Logik von Systemen oder immer neuen medialen Aufgeregtheiten über die Dummheit und Bösartigkeit ihrer Zeitgenossen verstecken.

Vielleicht waren große, epochale, revolutionäre Veränderungen in der Geschichte der Menschen immer nur nach gewaltsamen gesellschaftlichen Zusammenbrüchen möglich. Auch heute können wir auf das große Desaster warten (oder dessen Eintreten erhoffen). Wir können aber auch einfach mal aufstehen, der Logik von Unterordnung, Gewalt, Konkurrenz und endloser Akkumlation den bescheiden-unbescheidenen Wunsch nach einem armutsfreien und selbstbestimmten Leben für alle entgegensetzen.

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